Notizen eines Sommers
Ich saß in absoluter Finsternis.
Und hatte
doch einen recht passablen Blick auf das Szenario schräg vor
mir.
Schrammel stieg aus seinem Gefährt aus. Er war durch die
Innenbeleuchtung seines Fahrzeuges gut erkennbar.
Außer dem
Schlagen der Türen war nichts zu hören. Und doch
vernahm ich
das Röcheln, welches in der Luft lag, als sich diese Person
zeigte. Der alte Wilhelm hantierte umständlich an dem halb
verfaulten Scheunentor herum, brachte es schließlich aber
doch
auf. Beide morschen Flügel trotzten einmal mehr dem Einsturz.
Ich
griff nach meinem Glas Sherry und stierte weiter auf diese Leute. Die
Alte öffnete ruckartig die auf Schienen gleitende
Seitentür
des Wagens und griff dabei entschlossen in den Innenraum, der meinen
Augen aber weitgehend im Verborgenen blieb. Hierbei hörte ich
erstmals eine Stimme.
»Hilf mir doch, du alter Esel!«, zischte sie ihrem
Ehemann entgegen.
So sie denn wirklich miteinander verheiratet waren. Schrammel, der sich
bis dahin eher wie eine lahmende Ente bewegt hatte, fuhr
plötzlich
mit ungeahntem Elan herum, strebte entschlossen seiner Holden entgegen,
und mit vereinten Kräften nahmen sie eine lange rote Rolle
auf.
Zuerst dachte ich an einen Teppich. Doch welcher Teppich knickte in der
Mitte mehr und mehr ein, je länger er getragen wurde, ohne
dass
sich darin etwas befand? Die beiden bewegten sich auf den kleinen
Verhau zu, der unmittelbar an die Scheune angebaut war.
»Pass auf!« Diesmal hatte der Professor das
Wort.
Sie kamen direkt auf mich zu. Ich konnte nun ihren Atem hören,
im
Schein der Straßenlaternen ihre Gesichter deutlich erkennen.
Warum sahen die aber mich nicht? Da ich darauf keine befriedigende
Antwort fand, blieb ich sitzen. Weiterhin völlig regungslos.
Weiter gegen die weiß gesprenkelte Fassade des Hauses
gelehnt.
Noch drei Meter. Dann bogen sie ruckartig in diesen Verschlag ab. Ich
hörte ein beinahe unbändiges Stöhnen.
Kurz darauf
toste lautes Geschepper los. So als wäre ein ganzes Regal voll
mit
leeren Aludosen zusammengebrochen.
»Bist du wahnsinnig?«, fragte Schrammels Frau
durchaus
erzürnt. Der Lärm, der von diesem Gepolter verursacht
wurde,
hätte selbst die Hunde der Hölle aufwecken
können.
»Halt’s Maul!«, kam der strenge
Ordnungsruf mit
gedämpfter Stimme. »Hilf mir
lieber!«
Mir war nach einem Glas Amontillado. Und ich musste meinem Drang
nachgeben. Nicht, dass diese Situation im Moment gefährlich
für mich war. Aber hier braute sich etwas zusammen. Was sich
bestätigte, als ich das Geräusch von grabenden
Schaufeln
vernahm. Sekunde für Sekunde. Minute für Minute. In
steter
Monotonie. Die beiden schwiegen, während sie allem Anschein
nach
irgendein wie auch immer geartetes Loch in den Boden scharrten. Aber
sie schwiegen nicht, als sie nach geraumer Zeit endlich damit fertig
waren. Und ich langsam Krämpfe ob meiner starren Haltung
bekam.
»Schau, dass du endlich mit dieser Hand da
wegkommst!«,
rief Frau Schrammel plötzlich und ziemlich in Rage. Ich riss
meine
Augen auf.
»Verfluchte Leich’! Drei Stunden lang. Da muss
einem ja
alles wehtun!«, war daraufhin zu hören. Mir gefror
das Blut
augenblicklich in den Adern.
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Der
Erfolgsautor Bernd Hauser verlässt das Land zur Recherche
für
einen neuen Roman und bittet seinen wenig erfolgreichen Berufskollegen
Michael Neumann samt Familie, in der Zwischenzeit auf sein Haus im
verschlafenen Dorf Eichenau bei Mürren aufzupassen. Dort
angekommen lernen sie rasch ihre teilweise offen feindselige
Nachbarschaft kennen und stoßen auf einen Vermisstenfall, der
unsichtbar über der Gemeinschaft schwebt und sie nicht wieder
loslässt.
Notizen eines Sommers
Kriminalroman von Michael Koller
Taschenbuch, 248 Seiten, € 12,90 (A)
ISBN 978-3-903092-19-8
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Der Titel ist
auch als e-book erhältlich
Weltbild
Amazon
Thalia
Von Michael Koller bisher erschienen
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Sand des Vergessens
978-3-99074-185-6
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Michael Koller
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